Abstract
Prof. Dr. M. Hanefeld Der Diabetes hat sich im letzten Jahrzehnt zu einer wahren Volkskrankheit entwickelt. Über 95 % der neu Erkrankten sind Typ-2-Diabetiker. Bis 2010 wird mit 6-8 Millionen Diabetikern in Deutschland gerechnet, etwa 10 % der Bevölkerung im Erwachsenenalter. Diese Annahme stützt sich auch auf die weite Verbreitung von Diabetes-Vorstadien. So konnte bei Verwandten von Typ-2-Diabetikern und Personen mit metabolischem Syndrom ohne bekannten Diabetes im Alter von 40-70 Jahren in 26,2 % eine „impaired glucose tolerance“ (IGT) im 75 g OGTT (oraler Glukose-Toleranztest) festgestellt werden, 11,5 % hatten eine „impaired fasting glucose“ (IFG) [ 1 ]. Diese Risikogruppen für Diabetes haben eine jährliche Konversionsrate zu Typ-2-Diabetes von 3-10 %. Dabei ist IGT mehr als ein Diabetes-Vorstadium. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist die kardiovaskuläre und Gesamtsterblichkeit gegenüber Personen mit normaler Glukosetoleranz um mehr als das Doppelte erhöht [ 2 ] . Die Probanden der RIAD(Risk Factors in IGT for Atherosclerosis and Diabetes)-Studie mit IGT hatten bereits eine signifikante Zunahme der Intima-Media-Dicke (IMT) der Arteria Carotis im Duplex-Sonogramm und wiesen wie Typ-2-Diabetiker das ausgeprägte Cluster des Metabolischen Syndroms auf. Diabetogenese und Atherogenese verlaufen offensichtlich parallel und haben zu einem großen Teil die gleichen Risikofaktoren. Dabei scheint die subklinische chronische Inflammation eine zentrale Rolle zu spielen. Lange bevor der Typ-2-Diabetes diagnostiziert wird, besteht auch ein Defizit der frühen Insulinsekretion und eine verstärkte Insulinresistenz, wie bei E. Henkel et al. [ 3 ] in diesem Heft nachzulesen. Extrapoliert man die epidemiologischen Daten zu IFG und IGT, so wird deutlich, dass die IGT die höhere Last an kardiovaskulärem und Gesamtsterblichkeitsrisiko birgt [ 4 ]. Dies spricht für eine eigenständige Rolle der postprandialen Hyperglykämie als Progredienzfaktor der Arteriosklerose. Die lange Vorperiode mit sich frühzeitig entwickelnden kardiovaskulären Begleitkrankheiten erklärt auch die eher bescheidenen Ergebnisse zur Prävention der Makroangiopathie bei neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes [ 5 ] [ 6 ]. Damit werden präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Begleitkrankheiten zu einem kategorischen Imperativ. Mit Hinblick auf das Gesundheitsrisiko haben sich die Bemühungen bisher vor allem auf die Prävention des Diabetes bei Personen mit IGT gerichtet. Primäre Prävention bei IGT wird deshalb ein großes Thema der Jahrestagung der DDG 2002 in Dresden sein. Die jetzt vorgelegten Ergebnisse sind ermutigend. In frappierender Übereinstimmung konnte in zwei der drei Life-Style Studien [ 7-9 ] eine Senkung der Konversion von IGT zu Typ-2-Diabetes um etwas über 50 % erreicht werden. Die finnische Life Style Studie [ 8 ] und das US-amerikanische „Diabetes Prevention Program“ (DPP) [ 9 ] zogen dabei alle Register: Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung, physische Konditionierung, psychosomatische Betreuung, so dass der Einzeleffekt der Interventionskomponenten nicht abgelesen werden kann. Wir wissen aber aus allen Vorläuferstudien, dass Gesundheitsverhalten eine Einheit bildet. In der Daquing-Studie [ 7 ] waren Ernährungsumstellung und Konditionierung gleich wirksam, die Kombination beider erhöhte den Effekt auf die Konversionsrate nicht. In allen Studien war die Langzeit-Compliance zur physischen Konditionierung am besten. Nicht jeder kann oder will seinen Lebensstil so ändern, wie in den drei Life-Style Studien beschrieben. Deshalb ist die Suche nach geeigneten Medikamenten durchaus legitim, muss sich aber stets an den Ergebnissen der Life-Style Studien messen lassen und kann nur als „add on“ Medikation akzeptiert werden. Hierzu liegen nunmehr zwei Studien vor, bei denen die Prävention des Diabetes das primäre Ziel war: der Metformin-Arm der DPP [ 9 ] und die STOP-NIDDM Studie [ 10 ]. In der DPP wurde mit Metformin eine Reduktion neuer Diabetesfälle um 31 % erzielt. In der STOP-NIDDM Studie, die Acarbose einsetzte, betrug die Reduktion 25 % in der „Intention to Treat“-Analyse. Die Ergebnisse der „per protocol“-Analyse waren noch wesentlich besser, da mehr Probanden (19 %) in der Acarbose-Gruppe die Studie vorzeitig beendeten als in der Plazebogruppe (5,2 %). Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass Acarbose gut vertragen wurde und keinerlei ernste Nebenwirkungen auftraten. Acarbose hemmt primär den Anstieg des Blutzuckers nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit. Soweit aus vorläufigen Mitteilungen bekannt wurde (Abstracts) sind in dieser Studie auch die kardiovaskulären Ereignisse und neu aufgetretenen Hypertoniefälle signifikant reduziert worden. Damit läge erstmalig eine evidenzbasierte Studie zur Prävention von Diabetes und Makroangiopathie durch Kontrolle der postprandialen Hyperglykämie vor. Hilfe scheint auch von anderer Seite in Sicht. In der WOSCOPS- [ 11 ] und HOPE-Studie [ 12 ] traten unter einem Statin (Pravastatin) bzw. einem ACE-Hemmer (Ramipril) 31 % weniger neue Diabetesfälle auf - ein Befund der in Zusammenhang mit pleiotropen, in diesem Falle antiinflammatorischen, Effekten dieser Medikamente gesehen wird. Gegenwärtig starten zwei Großstudien: DREAM (Diabetes Reduction Approaches with Ramipril and Rosiglitazone Medications) und NAVIGATOR (Nateglinide and Valsartan in Impaired Glucose Tolerance Outcome Research), die so angelegt sind, dass auch Endpunkte, kardiovaskuläre Ereignisse und Gesamtsterblichkeit, ermittelt werden können. DREAM wird die Wirksamkeit der im Akronym aufgeführten Medikamente und ihre Kombination gegen Plazebo testen. In der ersten...

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