Abstract
Bei der Züchtung und vegetativen Vermehrung von Kulturpflanzen bedient sich der Mensch seit Jahrtausenden einer besonderen Technik, die als Pfropfen oder Veredeln bekannt ist. Die Methode beruht auf der Eigenschaft Höherer Pflanzen, miteinander verwachsen zu können, wobei sich die Pfropfpartner unter Umständen in einer vom Züchter gewünschten Weise wechselseitig beeinflussen. Die Pfropfung hat nicht nur in der Praxis Bedeutung. Die zellbiologische Forschung steht hier vor grundsätzlichen Fragen der Zellerkennung, der Kontaktaufnahme zwischen Zellen und der Verträglichkeit zwischen Organismen, die bekanntlich kein Immunsystem besitzen. Anhand anatomischer, physiologischer und biochemischer Untersuchungen wird zur Zeit versucht, die Beziehungen zwischen Pfropfpartnern aufzuklären.Der vorliegende Beitrag befaßt sich mit Fragen zur Anatomie und Physiologie der Pfropfung. Er knüpft damit an Untersuchungen an, die vor genau 100 Jahren die wissenschaftliche Forschung an Pfropfungen begründeten: im Jahre 1892 brachte der Tübinger Botaniker Herrmann Vöchting sein Standardwerk „Über Transplantation am Pflanzenkörper—Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie”︁ heraus [9]. In dieser mit äußerst genauen mikroskopischen Zeichnungen illustrierten Abhandlung werden bereits wesentliche Fragen, die heute mit neuen Methoden der Zellforschung beantwortet werden können, vorweggenommen.