Aus unseren Ergebnissen der Prontosilbehandlung der Sepsis schließen wir, daß bei den nicht geheilten Sepsisfällen keine reine Streptokokkensepsis starb. Der eine Fall von Endocarditis lenta ist nicht als ein Versager der Prontosilbehandlung anzusehen, da bei Beginn der kausalen Therapie infolge der schweren Veränderungen am Herzen bereits eine so starke Kreislaufinsuffizienz eingetreten war, daß die Frau daran ad exitum kam. Es besteht aber unseres Erachtens die Möglichkeit, daß auch reine Fälle von Streptokokkensepsis dann nicht von dem Prontosil beeinflußt werden können, wenn es im Laufe der Erkrankung zu einer ausgedehnten pyämischen Metastasierung gekommen ist. Es würde also auch bei dem Prontosil die erste Forderung sein, daß so früh wie möglich mit der Behandlung begonnen werden muß, wenn ein einigermaßen sicherer Erfolg erzielt werden soll. Bei dem Prontosil handelt es sich um einen Farbstoff, der in vitro keinen sehr großen Desinfektionswert besitzt, mit dem aber im Tierversuch bei der Streptokokkeninfektion der Maus ein sehr guter therapeutischer Erfolg erzielt wurde. Woran es liegt, daß die beim Tier gefundenen Ergebnisse nicht auch beim Menschen erreicht werden, ist vorläufig noch nicht geklärt. Die Wirkung des Prontosils beruht sicher nicht darauf, daß die Bakterien durch das injizierte Prontosil abgetötet werden. Denn selbst für die zufällig während der Injektion im Blut kreisenden Bakterien ist die Konzentration des injizierten Prontosils viel zu gering, um einen nennenswerten schädlichen Einfluß auf sie auszuüben. Dazu kommt noch, daß kurz nach der Injektion die Ausscheidung des Prontosils durch die Nieren beginnt, und dadurch die Konzentration im Blut sehr bald noch mehr vermindert wird. Wie es möglich sein soll, daß es trotzdem zu einer Ausheilung der septischen Thromben und der oft zahlreich vorhandenen sekundären Sepsisherde kommen soll, ist ungekiärt. In Anbetracht der Tatsache, daß die Chemotherapie der Sespis sich der uneingeschränkten und vielleicht berechtigten Ablehnung aller Autoren erfreut, die Gelegenheit hatten die Erfolge aller empfohlenen Sepsismittel zu prüfen, erscheint es vielleicht unverständlich, weshalb wir mit diesem neuen Mittel abermals einen Versuch gemacht haben, das Ergebnis der Sepsisbehandlung zu verbessern. Wir haben es aus der Überlegung heraus getan, daß, solange nicht ein Mittel gefunden ist, welches mit absoluter Sicherheit imstande ist, die Sepsis zu heilen, es in Anbetracht der schlechten Ergebnisse der bisherigen Therapie nicht berechtigt ist, ein Mittel aus prinzipiellen Gründen abzulehnen, solange seine Anwendung ohne Nachteile für die Patienten möglich ist. Diese letzte Forderung, die im übrigen von dem Prontosil mehr als von jedem anderen Chemotherapeutikum der Sepsis erfüllt wird, muß jedoch unbedingt erhoben werden, da bei vielen Fällen der schwer daniederliegende Allgemeinzustand der Sepsiskranken nicht durch die ungünstigen Nebenwirkungen spezifischer Mittel eine weitere Verschlechterung erfahren darf. Ebenso selbstverständlich ist es, daß bei der Anwendung eines spezifischen Sepsismittels die sehr sorgfältige Allgemeinbehandlung der an einer Sepsis erkrankten Patientin nicht vernachlässigt werden darf. Gerade bei der Sepsis kommt es allen Erfahrungen nach in hohem Maße darauf an, wie der Körper die schwere Infektion durch Mobilisierung von Abwehrkräften und Antitoxinen, durch schnelle Regeneration des zerstörten Blutes usw. aus eigener Kraft überwindet. Diese allgemeine Widerstandskraft des Körpers mit allen uns zur Verfügung stehenden bewährten Mitteln zu heben, wird immer die erste Aufgabe bei der Behandlung der Sepsis sein. Die ätiologische Sepsisbehandlung kann immer nur eine Unterstützung dieser Behandlung darstellen. Wer gesehen hat, wie auch Fälle von schwerer Puerperalsepsis bei sorgsamster Allgemeinbehandlung auch ohne jede spezifische Therapie geheilt sind, wird diese Forderung berechtigt finden und auch von einem Chemotherapeutikum der Sepsis nicht verlangen, daß die ganze übrige Behandlung fortfallen kann. Bei der großen Verschiedenartigkeit der Erscheinungen der einzelnen Sepsisfälle und bei ihrer sehr verschiedenen Tendenz von selbst zu heilen oder in anderen Fällen zu einer ausgedehnten pyämischen Metastasierung zu führen ist es sehr schwierig, die Erfolge eines Sepsismittels exakt zu bestimmen. Wie viele Fälle von Temperatursteigerungen und Schüttelfrösten nach septischen Geburten und Fehlgeburten und oft auch nach normalen Entbindungen werden durch Injektionen geheilt und wie viele wären auch ohne ätiologische Therapie gesund geworden! Wir wissen nie, ob der Schüttelfrost, nach dem wir ein von uns als wirksam erachtetes Mittel angewendet haben, nicht schon überhaupt der letzte war. Deshalb wird es erst auf Grund langer Beobachtungsreihen möglich sein, ein endgültiges Urteil zu fällen. Die Erfahrungen, die wir mit dem Prontosil an der hiesigen Klinik machten, gestatten uns nicht so optimistische Schlüsse wie die Erfahrungen, die andere Autoren mit dem Mittel gemacht haben. Wir glauben, daß zur endgültigen Beurteilung noch weitere Versuche bei einschlägigen Fällen notwendig sind.