Das Metabolische Syndrom
- 25 September 2006
- journal article
- editorial
- Published by Georg Thieme Verlag KG in Diabetologie und Stoffwechsel
- Vol. 1 (5) , 303-304
- https://doi.org/10.1055/s-2006-947258
Abstract
Die Existenz eines „metabolischen Syndroms” wurde bereits in den zwanziger Jahren von den Schweden Maranon [ 1 ] und Kylin [ 2 ] beschrieben. Die Schrittmacherrolle der androiden (zentralen) Adipositas wurde von der französischen Schule um J. Vague herausgearbeitet. Eine umfassende Darstellung dieser Arbeiten, die unter anderem zur ersten Typisierung der Fettsucht in gynoide und androide Ausprägung führte, findet sich in der Arbeit „The degree of masculine differentiation of obesities. A factor determining predisposition to diabetes, atherosclerosis, gout and the uric calculous disease” [ 3 ]. Ein umfassendes Konzept des metabolischen Syndroms mit Bestimmung der klinischen Rolle und damit verbunden der Frage nach dem Nutzen für den Arzt und den betroffenen Patienten wurde erstmalig 1981 in einem Review vorgestellt [ 4 ]. Darin wird das metabolische Syndrom und sein Nutzen für die Klinik folgendermaßen definiert: „Wir verstehen darunter das gemeinsame Vorkommen von Fettsucht, Hyper- und Dyslipoproteinämien, maturity onset Diabetes (Typ II), Gicht und Hypertonie, verbunden mit erhöhter Inzidenz von arteriosklerotischen Gefäßerkrankungen, Fettleber und Cholelithiasis, das bei Überernährung und Bewegungsmangel auf dem Boden einer genetischen Disposition auftritt. Lässt sich diese Arbeitshypothese bestätigen, dann kann davon eine einheitliche Diagnostik und Prävention dieser gesundheitspolitisch so bedeutsamen Krankheitsgruppe abgeleitet werden.” Damit wird ein sehr häufiger Phänotyp von Patienten beschrieben, bei dem sich ein typisches Cluster von Krankheiten findet, verbunden mit einem erhöhten Risiko für atherosklerotische Gefäßerkrankungen. Ausgangspunkt der vorangegangenen langjährigen Untersuchungen der Dresdner Schule waren klinische Beobachtungen bei Blutspendern mit Fettleber [ 5 ], bei Dyslipidämie [ 6 ] und zum „Gichtsyndrom” [ 7 ]. Als Grundlage der engen Beziehungen zwischen den Facetten des metabolischen Syndroms wurde früh die Insulinresistenz postuliert und dominierte unter dem Eindruck der bahnbrechenden Arbeiten von de Fronzo und G. Reaven [ 8 ] - „syndrome X” - lange Zeit die Vorstellungen zur Pathogenese des metabolischen Syndroms. Dieterle et al. hatten bereits vorher darin eine Brücke zur Hypertonie erkannt. Mit der Einführung neuer Definitionen und Grenzwerte für dazu ausgewählte Komponenten des Metabolischen Syndroms durch die WHO [ 9 ] und das NCEPIII ATP Panel [ 10 ] setzte eine Flut von epidemiologischen Arbeiten zum metabolischen Syndrom ein, die übereinstimmend eine wahre Pandemie mit Prävalenzen von 25 - 50 % bei Personen über 40 Jahre nachwiesen. Für Deutschland werden ∼25 % angenommen. Die IDF [ 11 ] unternahm 2005 den Versuch einer einheitlichen Definition, in der die zentrale Adipositas als conditio sine qua non festgelegt wurde, mit Grenzwerten für den Bauchumfang bei Europäern von ≥ 80 cm bei Frauen und ≥ 94 cm bei Männern. Gleichzeitig wurde arbiträr der Grenzwert für Hyperglykämie auf ≥ 100 mg/dl (5.6 mmol) Plasmaglukose herabgesetzt, was per definitionen einen wahren Tsunami in der Prävalenz auslöste. Das metabolische Syndrom wurde damit von einem klinischen Konzept im Sinne der Syndromologie zu einem zentralen Thema epidemiologischer und pathophysiologischer Forschung, das auch wegen seiner neuen Dimension große öffentliche Aufmerksamkeit fand. Die kritische Diskussion konzentrierte sich fortan vor allem auf die arbiträren Grenzwerte, die Frage nach einer einheitlichen Ursache und den Vergleich der prädiktiven Power als Risikofaktor für AVK mit den etablierten Scores: Framingham, PROCAM, Diabetes Predicting Model etc. [ 12 ]. Stern et al. zogen aus ihren vergleichenden Untersuchungen bei Mexican Americans den Schluss, dass das metabolische Syndrom den etablierten Risikofaktoren für Diabetes und AVK unterlegen ist [ 13 ]. Dem widerspricht eine Analyse von Grundy et al. [ 14 ], die bei Vorliegen eines metabolischen Syndroms für Typ 2 Diabetes ein relatives Risiko von 4 und für AVK von 2 ableiten. Die Kritik an den offensichtlichen Schwächen der IDF Definition gipfelt in dem Editorial von E. Gale „The metabolic syndrome - a myth” [ 15 ], der allerdings auch nicht das Cluster Adipositas, Diabetes, Dyslipidämie, Hypertonie in Frage stellt. Dabei geht die aktuelle Diskussion weitgehend an der eigentlichen Sinngebung des Syndroms vorbei. Vieles erinnert an den berühmten Roman von Umberto Ecco „Der Name der Rose”, wo in einem mittelalterlichen Kloster erbittert über Worthülsen und nicht die Rose selbst gestritten wird. Selbst G. Reaven, ein erklärter Gegner des metabolischen Syndroms, kommt zu dem Schluss, dass ’the use of multiple regression analysis of epidemiological data may be more misleading than helpful’ [ 16 ]. Damit sollten wir zum Ausgangspunkt der Einführung des metabolischen Syndroms als eines hilfreichen Konzeptes zur ganzheitlichen klinischen Betrachtung eines Clusters eng miteinander verflochtener Stoffwechselkrankheiten inklusive Hypertonie - ganz im Sinne der Väter der Syndromologie in der antiken griechischen Medizin zurückkehren. Laut Wikipedia 2005 beinhaltet ein Syndrom (griechisch syndromos - zusammenlaufen) das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Merkmale, zum Beispiel Krankheitssymptome mit meist einheitlicher Ätiologie und unbekannter Pathogenese, somit einen Symptomenkomplex. Dies erfüllt die von uns gegebene Definition des metabolischen Syndroms vollinhaltlich. Die antike griechische Medizin basierte auf logischen philosophischen Überlegungen, die nach Zusammenhängen zwischen Krankheit und Umwelt suchte. Da...Keywords
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