Abstract
Die Hoden-Entwicklung des Menschen und die Rolle des Mesonephros bei der Genese eines zweiten Sertoli-Zell-Systems Einleitend wird eine kurze Übersicht über die verschiedenen Theorien zur Gonadenbzw. Hodenentwicklung gegeben: Die „klassische” Theorie, welche die somatischen Zellen vom Coelom-Epithel herleitet; die „mesenchymale” Theorie, die das Stützzell- und das Zwischenzell-System ausschließlich oder vorwiegend aus den Mesenchymzellen der Gonadenleiste entstehen läßt. Hinzu kommen die mehr funktionell orientierten Konzepte: Witschi's Theorie, nach der die Gonade sich aufgrund eines induktiven kortiko-medullären Antagonismus zu Hoden oder Ovar differenziert und das Konzept von Jost, welches eine dyssymme-trische Entwicklung im Verlauf der sexuellen Differenzierung der Gonaden postuliert. Danach differenziert sich die Gonade aktiv unter genetisch bedingtem Einfluß zum Hoden, während sie ohne diesen Einfluß zum Ovar wird. Gesteuert wird die Hodendiffe-renzierung durch einen Genort am Y-Chromosom, durch dessen Information ein H-Y Antigen (Histokompatibilitäts-Antigen) produziert wird. Dieses Antigen determiniert die Hodenentwicklung. Ein weiteres chromosomales Regelsystem determiniert die hormonelle (androgene) Steuerung bei der Ausbildung der weiteren männlichen Geschlechtsorgane und -merkmale. Im Hauptteil des Referates wird auf eigene Untersuchungsergebnisse über die Rolle des Mesonephros (Urniere) bei der Genese der somatischen Zellelemente des Hodens (und Ovars) eingegangen. Bei der Differenzierung der Gonade zum Hoden (oder Ovar) werden somatische Zellen nicht nur vom Coelom-Epithel, sondern in beträchtlichem Umfang vom Mesonephros beigesteuert. Diese werden in einem intragonadalem Blastem (zentrales Blastem) gesammelt. Dieses Gonadenblastem ist beim Menschen im kranialen Pol der Hodenanlage (bzw. Ovar) lokalisiert, wo ein direkter Kontakt zu den degenerierenden Segmenten des oberen Mesonephrosabschnittes besteht. Zellen mesothelialer Herkunft (Coelom-Epithel) gelangen aus dem Bereich des oberen Coelomwinkels in das Blastem. Aufgabe des Blastems ist es, für die fortgesetzte Bildung von Hodenstrangen auch nach der primären Hodendifferenzierung Zellmaterial zu liefern. In den Strängen werden mit den primordialen Geschlechtszellen Stützzellen (Prä-Sertoli-Zellen) eingeschlossen. Zwei Wochen nach der Hodendifferenzierung wird eine zweite Form von Prä-Sertoli-Zelle sichtbar, die vom Gonadenblastem über die Stränge des „Rete-Blastems” in die Hodenstränge gelangt und die Geschlechtszellen zur mitotischen Proliferation veranlaßt. Die Proliferation ist zeitlich koordiniert mit der praemeiotischen Proliferation der Oogonien im Ovar. Im Hoden leitet die Proliferation nicht in die Prophase der Meiose über, da die hemmende Einwirkung der ersten Stützzellpopu-lation zur Geltung kommt. Fördernde Zelle (meiosis-inducing Sertoli-cell) und hemmende Zelle (meiosis-preventing Sertoli-cell) konkurrieren in ihrem Einfluß urn die Geschlechtszelle. Unmittelbarer Zellkontakt ist die Voraussetzung. Induzierende Zellen sind mesonephrogener, hemmende Zellen mesothelialer Herkunft. Eine ebenfalls mesonephrogene Herkunft wird für die übrigen somatischen Zellen des Hodens angenommen: Leydigzellen und peritubuläre (myoide) Zellen.