Abstract
Der Kristall einer organischen Verbindung ist die höchste Form eines Supramoleküls, und sein von chemischen und geometrischen Faktoren bestimmter Zusammenbau aus Molekülen ist das perfekte Beispiel für molekulare Erkennung im festen Zustand. Die supramolekulare Beschreibung einer Kristallstruktur beinhaltet, daß die Moleküle im Kristall durch nichtkovalente Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Die Notwendigkeit für einen rationalen Zugang zu Festkörpern von grundlegender und praktischer Bedeutung hat zum Entstehen des Kristall‐Engineering geführt, bei dem man versucht, die intermolekularen Wechselwirkungen und Erkennungsphänomene im Zusammenhang mit der Kristallpackung zu verstehen. Das Ziel des Kristall‐Engineering ist es, auf der Grundlage der intermolekularen Wechselwirkungen zuverlässige Zusammenhänge zwischen der molekularen und der supramolekularen Struktur herzustellen, und idealerweise möchte man Substrukturen in einem Zielsupramolekül identifizieren, das aus logisch gewählten Vorläufermolekülen zusammengesetzt werden kann. In der Tat ist Kristall‐Engineering eine neue Form der organischen Synthese, und es soll in diesem Beitrag gezeigt werden, daß Kristall‐Engineering nicht nur von nomineller Bedeutung für die Organische Chemie ist, sondern im Kerngebiet der Organischen Chemie liegt und konzeptionell der traditionellen organischen Synthese überraschend ähnlich ist. Im Detail unterscheiden sich Kristall‐Engineering und organischen Synthese allerdings: Beim Kristall‐Engineering spielen intermolekulare Wechselwirkungen und weniger kovalente Bindungen eine Rolle. Im ersten Teil dieses Beitrags wird die Strategie behandelt: Die verwandten Konzepte des Kristall‐Engineering und der organischen Synthese werden hervorgehoben und der Begriff supramolekulares Synthon eingeführt. Im zweiten Teil steht die Methode im Vordergrund, d. h. die chemischen und geometrischen Eigenschaften der spezifischen intermolekularen Wechselwirkungen.